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Einleitung - Umlagerungsbildungen (M. KÖSEL & W. FLECK 2019)

Der oberflächennahe Untergrund als oberster Abschnitt der Lithosphäre besteht weitverbreitet aus Lockergesteinen, die sich häufig erst in geologisch jüngster Vergangenheit hauptsächlich während des Spätpleistozäns und im Holozän über dem Gesteinsuntergrund mit unterschiedlicher Mächtigkeit gebildet haben. Außerhalb der Ablagerungsräume von äolischen Sedimenten und fluviatilen Ablagerungen wird der oberflächennahe Untergrund v. a. durch Umlagerungsbildungen geprägt, die durch stark reliefgesteuerte geologische Vorgänge entstanden sind. Ihre Verbreitung sowie ihre Mächtigkeit hängen dabei von den jeweiligen, für ihre Bildung erforderlichen Randbedingungen und den sie formenden geologischen Prozessen ab.
Manche Umlagerungsbildungen kommen räumlich sehr begrenzt vor, wenn die zu ihrer Entstehung führenden Prozesse an spezielle, nur örtlich vorliegende geologische bzw. geomorphologische Gegebenheiten gebunden sind. Andererseits treten Umlagerungsbildungen häufig auch großflächig auf und können ganze Landschaftsbereiche im oberflächennahen Untergrund prägen. Eine besondere Bedeutung kommt in dieser Hinsicht den → Frostbodenbildungen zu (→ Fließerde, → Solimixtionsdecke), die im Periglazialraum zwischen dem nordischen Eis und den jüngsten alpinen Vorlandgletschern im Auftauboden über tiefgefrorenem Permafrost entstanden und bis auf Bereiche mit harten Felsklippen und ihren Steilhängen das Gelände häufig nahezu reliefübergreifend einnehmen.
Die Umlagerungsbildungen sind ein Bestandteil des allgemeinen geologischen Modells, wie es v. a. in den geologischen Spezialkarten (1 : 25.000 und 1 : 50.000) seinen Ausdruck findet. Zugleich stellen sie als weit verbreitete Ausgangsgesteine der Böden häufig eine wichtige Komponente für die Ausweisung der Bodenform (Bodentyp + Ausgangsgestein der Bodenbildung) als zentralem Element der bodenkundlichen Landesaufnahme dar. Aufgrund ihrer Lageverhältnisse und Entstehung sind die Umlagerungsbildungen des oberflächennahen Untergrunds ein gemeinsames Objekt der geologischen und bodenkundlichen Landesaufnahme, die sich bei der Ansprache und Kartierung ergänzen.
Darüber hinaus sind die Umlagerungsbildungen mit ihren Lockergesteinskörpern für viele angewandte Fragenstellungen von großer Relevanz. Zum einen bilden sie zusammen mit den Böden der Pedosphäre häufig die Schnittstelle nahe der Geländeoberfläche zwischen der Geosphäre und der v. a. durch die Atmosphärilien und den Einfluss des Menschen geprägten Exosphäre, in deren Bereich Richtung und Geschwindigkeit von physikochemischen Transportvorgängen (Wasser, Schadstoffe etc.) vorgegeben wird. Zudem ist die Ausbildung und Beschaffenheit der Umlagerungsbildungen häufig von Bedeutung für die Durchführung von zahlreichen Maßnahmen der baulichen und technischen Infrastruktur (Baugrund, Leitungsbau, Friedhofanlage etc.). Umlagerungsbildungen die mit spezifischen Risiken für den Menschen und seine Infrastruktur verbunden sind (z. B. Rutschungen, Felsstürze) werden teilweise durch Gefahrenhinweiskarten und -prognosen erfasst und bewertet und ihr Risikopotential muss örtlich durch spezielle Sanierungsmaßnahmen gemindert werden.

Gliederung der Umlagerungsbildungen
In der erstmalig durch Hinze et al. 1989 erfolgten Zusammenstellung der Begriffe für quartäre Lockergesteine und in der daraus resultierenden systematischen Gliederung der „Geogenetischen Definitionen quartärer Lockergesteine für die Geologische Karte 1 :25 000 (GK25)“ fehlt der Überbegriff „Umlagerungsbildungen“ vollständig.
Die in der vorliegenden Neubearbeitung durchgeführte und unter „5. Umlagerungsbildungen“ subsumierte Gliederung in 5.1 Verschwemmungsablagerungen, 5.2 Frostbodenbildungen, 5.3 Fall- und Sturzbildungen, 5.4 Gleitbildungen, 5.5 Fließbildungen und 5.6 Morphologische Formen der Umlagerungsbildungen wurden bisher zum großen Teil unter dem Überbegriff „Frostbodenbildungen und Hangbildungen“ geführt, während die Verschwemmungsablagerungen abgetrennt waren und ein eigenes Kapitel erhalten hatten.
Die Notwendigkeit eines einheitlichen Begriffs- und Definitionssystems zu Ansprache junger Lockergesteine, von denen die Umlagerungsbildungen einen nicht unerheblichen Teil ausmachen, ergab sich naturgemäß auch in anderen Staaten des europäischen Umfelds. Stellvertretend sei hier auf die Arbeit von KRENMAYER et al. (2012) in Österreich der GEOLOGISCHEN BUNDESANSTALT (GBA) und von MCMILLAN & POWELL (1999) des BRITISH GEOLOGICAL SURVEY (BGS) in Großbritannien verwiesen. Interessanterweise war die Aufstellung eines Begriffs- und Definitionsrahmens für Umlagerungsbildungen auch ein wichtiges Erfordernis um die in jüngster Zeit durch Marsmissionen der Raumfahrtagenturen erzielten Satellitendaten der Marsoberfläche mit den erkennbaren geomorphologischen Strukturen interpretieren zu können und anhand terrestrischer Analogien auf die zu ihrer Bildung führenden geologischen Prozesse rückzuschließen (HARGITAI & KERESZTURI 2015).
Eine weitere in jüngster Vergangenheit erfolgte Zusammenstellung von Definitionen u. a. für verschiedene Umlagerungsbildungen wurde von der Engineering Group der Geological Society, London, erstellt und verdeutlicht die Bedeutung einer klaren Ansprache von Sedimentkörpern aus Umlagerungsbildungen für ingenieurgeologische Fragestellungen (GRIFFITHS & MARTIN 2017). 

Literatur
GRIFFITHS, J. S. & MARTIN, C. J. (Hrsg. 2017): Engineering Geology and Geomorphology of Glaciated and Periglaciated Terrains. – Engineering Group Working Party Report. Geological Society, London, Engineering Geology Special Publications, 28: 59–368.
HARGITAI, H. & KERESZTURI, Á (Hrsg. 2015): Encyclopedia of Planetary Landforms. – 2460 S.; Heidelberg (Springer Reference).
HINZE, C., JERZ, H., MENKE, B. & STAUDE, H. (1989): Geogenetische Definitionen quartärer Lockergesteine für die Geologische Karte 1 : 25 000 (GK 25). – Geologisches Jahrbuch, A 112: 243 S.
KRENMAYR, H.-G., ĆORIĆ, S., GEBHARDT, H., IGLSEDER, C., LINNER, M., MANDL, G. W., REITNER, J., ROCKENSCHAUB, M., ROETZEL, R. & RUPP, C. (2012): Generallegende der pleistozänen bis holozänen Sedimente und Verwitterungsprodukte des Periglazialraumes auf den geologischen Spezialkarten (1 : 50.000, 1 : 25.000) der Geologischen Bundesanstalt. – Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt, 152 (1–4): 57–66.
MCMILLAN, A. A. & POWELL, J. H. (1999): BGS Rock Classification Scheme, Volume 4: Classification of artificial (man-made) ground and natural superficial deposits – applications to geological maps and datasets in the UK. – British Geological Survey Report, RR 99−04: 65 S.; Keyworth/Nottingham.

(Letzte Aktualisierung dieser Seite: Last update : 16.02.2021 14:58:31)
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